Frauen & Familie

Fehlgeburt
Der Rede wert

Eine Fehlgeburt ist für betroffene Eltern weit mehr als das verfrühte Ende einer Schwangerschaft. Sie haben ihr Kind verloren. Und als wäre dieser Verlust nicht schon schmerzhaft genug, geht er für Betroffene häufig auch noch mit Schuldgefühlen und Scham einher. Wie kann das sein? Wieso ist das Thema Fehlgeburt immer noch ein gesellschaftliches Tabu? Und was kann Eltern von Sternenkindern helfen?

Was ist eine Fehlgeburt?

! Von einer Fehlgeburt – unter Medizinern auch Abort genannt – spricht man, wenn eine Schwangerschaft bis maximal zur 24. Schwangerschaftswoche (SSW) geht und damit vorzeitig endet. Zu dieser Zeit ist der Fötus außerhalb des Mutterleibes noch nicht lebensfähig. Eine Fehlgeburt innerhalb der ersten 12 SSW bezeichnet man als Frühabort. Ab der 13. SSW spricht man von einem Spätabort. Bei Fehlgeburten ab der 24. SSW oder bei einem Gewicht des Kindes von mindestens 500 Gramm spricht man von einer Totgeburt.

! Die meisten Fehlgeburten ereignen sich noch vor der 4. SSW, bevor sich die Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut einnisten kann, und bleiben daher unbemerkt.

! Nach der 12. SSW nimmt das Risiko einer Fehlgeburt deutlich ab und beträgt dann nur noch etwa 1 – 4 Prozenz.

Fehlgeburt: bald kein Tabuthema mehr?

Statistisch gesehen erleiden pro Minute 44 Frauen auf der Welt eine Fehlgeburt. Oder anders betrachtet: Ungefähr jede sechste Schwangerschaft endet in einer Fehlgeburt. Auch wenn diese Fakten deutlich machen, dass Fehlgeburten häufiger vorkommen, als man denkt: Sie trösten nicht, wenn man diesen Schicksalsschlag selbst erlebt. Denn eine Fehlgeburt ist immer ein sehr persönliches und unfassbar trauriges Erlebnis für Mütter und Väter.

Nicht selten sogar traumatisch. Und trotzdem scheint das Thema mit all seinen seelischen und körperlichen Folgen auch heute noch nicht „gesellschaftsfähig“ zu sein. Es herrscht noch immer eine gewisse Erwartungshaltung, dass vor allem Mütter damit schnell „klarkommen“ müssen. Aber sollte es nicht vielmehr so sein, dass wir endlich die verstaubte Ansicht – eine Fehlgeburt sei nichts, über das man groß redet – aus der Tabuecke holen? Und damit den betroffenen Müttern die Aufmerksamkeit und Anerkennung entgegenbringen, die sie verdienen? Wir jedenfalls finden es genau richtig, dass sich seit ein paar Jahren immer mehr Frauen trauen, öffentlich über ihre Fehlgeburt(en) zu reden. So wie Marie.

Wir geben Betroffenen eine Stimme
Interview mit Marie Petersen (35): „Zwei Fehlgeburten, unzählige Stunden Trauer.“

Hallo Marie, wie viele Kinder hast du?

Ich bin Mama von vier Kindern: zwei lebenden und zwei Sternenkindern. Viele reagieren darauf verunsichert oder bestürzt, wenn ich das so erzähle. Aber ich gehe mit meinen Erfahrungen offen um und finde es auch einfach meinen Sternenkindern gegenüber wertschätzend, sie nicht unerwähnt zu lassen.

Wie hast du deine Fehlgeburten erlebt und wie hat dein Umfeld reagiert?

Meine erste Fehlgeburt hatte ich 2016, da war ich in der 9. Schwangerschaftswoche. Das war ganz schlimm für meinen Mann und mich. Ich hatte danach lange mit Despressionen zu kämpfen. Dieses Gefühl, alleine und unverstanden zu sein, hat mich völlig fertig gemacht. Gut gemeinte Sprüche von meinen Freundinnen oder meiner Mutter à la „Du bist doch noch so jung. Das nächste Mal klappt´s bestimmt!“ halfen überhaupt nicht – und ich wollte sie auch nicht hören. Ich hatte mein Kind verloren und das lässt sich nicht einfach ersetzen. Es bleibt für immer mein Kind, welches ich leider nie richtig kennenlernen durfte.

Wie hast du deinen Lebensmut wiedergefunden?

Ich habe mich nach beiden Fehlgeburten – die zweite hatte ich 2019 in der 11. SSW – intensiv in Selbsthilfegruppen ausgetauscht. Der Kontakt zu anderen Frauen, die das gleiche schlimme Schicksal durchleben mussten, war meine größte Stütze! Nach meiner ersten Fehlgeburt war ich zudem längere Zeit in therapeutischer Behandlung. Von dort habe habe ich viel Kraft und mentale Stärke mitnehmen können, die mir auch bei meinem zweiten Schicksalsschlag geholfen haben. 

Wird in unserer Gesellschaft genug für Eltern getan, die eine Fehlgeburt erleben mussten?

Ein fettes NEIN! Das fängt schon damit an, dass Frauen, die ihr Kind vor der 24. Schwangerschaftswoche verlieren, lange Zeit keinen gesetzlichen Mutterschutz hatten – als würde der Verlust eines Kindes erst ab diesem Zeitpunkt als „würdig“ angesehen werden. Doch endlich gibt es hier eine wichtige Änderung: Seit 2025 haben Frauen auch nach einer Fehlgeburt ab der 12. Schwangerschaftswoche Anspruch auf Mutterschutz. Das bedeutet, sie erhalten die Möglichkeit, sich in dieser schweren Zeit ohne zusätzlichen Druck von außen zu erholen und Abschied zu nehmen. Trotzdem bleibt vieles unausgesprochen. Das soziale Schweigen rund um Fehlgeburten ist weiterhin allgegenwärtig. Wer spricht schon offen darüber? Dieses Tabu macht betroffene Frauen oft einsam und lässt sie mit ihren Gefühlen alleine. Daran muss sich dringend etwas ändern!

Folgen einer Fehlgeburt: eine tiefe emotionale Narbe

Für viele Mütter, die eine Fehlgeburt erleiden mussten, bleibt die damit verbundene seelische Belastung nicht ohne Folgen. Forschende haben 2018 herausgefunden, dass acht bis 20 Prozent der betroffenen Frauen in den ersten Monaten nach der Fehlgeburt depressive Symptome zeigen. Bei einigen davon entwickelt sich sogar eine Angststörung oder eine Posttraumatische Belastungsstörung. Dabei spielen auch die Angst vor einer erneuten Fehlgeburt und der soziale Druck auf die Frauen, möglichst schnell und unauffällig ihre Fehlgeburt zu verarbeiten, eine zentrale Rolle. Sie fühlen sich „schuldig“ und suchen den Fehler bei sich und ihrem Verhalten in der Schwangerschaft. Deshalb trauen sich viele Frauen nicht, über das Erlebte zu sprechen.

Fehlgeburt verarbeiten: Reden ist wie ein Pflaster für die Seele

Dabei empfehlen Psychologen genau das: über das Erlebte zu sprechen. Mit der Familie, einer guten Freundin, in einer Selbsthilfegruppe oder auch mit fachlich versierten Personen wie Psychotherapeuten oder Hebammen. Denn wenn man es schafft, über die Fehlgeburt zu reden, nimmt man dem Ereignis zwar nicht den Schrecken, aber man macht es ein Stück weit kontrollierbarer. Man bestimmt, was man wem wann erzählt. So wird die Fehlgeburt zum Teil der eigenen Biografie. Dieser Teil ist schmerzhaft und traurig, aber er reiht sich ein in die eigene Geschichte, die aus vielen verschiedenen Kapiteln besteht.

Hilfe für Sternenkind-Eltern

Den Schmerz und die Trauer einer Fehlgeburt zu verarbeiten, braucht Zeit. Experten raten betroffenen Frauen, sich genügend Zeit für sich zu nehmen und beim Hausarzt oder bei der Gynäkologin nach einer Krankschreibung zu fragen. Denn für eine ganzheitliche Erholung ist es sehr wichtig, sich Ruhe zu gönnen und sich mit dem Erlebten auseinanderzusetzen. Natürlich ist jede Frau anders und die Bedürfnisse sind auch nach einer Fehlgeburt nicht immer die gleichen. Dennoch kann es für einige sehr hilfreich sein, von jemandem begleitet zu werden.

Zum Beispiel von der Hebamme, die man sich bereits zu Beginn der Schwangerschaft gesucht hatte. Auch therapeutische Hilfe kann sinnvoll sein – insbesondere dann, wenn es sich um eine wiederholte Fehlgeburt handelt oder es ohnehin schon schwierig war, schwanger zu werden. Weitere Unterstützung für Betroffene und ihre Angehörigen rund um das Thema Fehlgeburt gibt es zum Beispiel auch bei der Telefonseelsorge oder bei pro familia.

Was bedeutet Sternenkind?

Wenn Babys im Bauch oder kurz nach der Geburt sterben, ist das für betroffene Mütter und Väter eine unglaublich schlimme und traurige Erfahrung, die kaum in Worte zu fassen ist. Bezeichnungen wie „Fehlgeburt“ oder „Totgeburt“ werden dabei der tiefen emotionalen Bindung, die viele Eltern bereits zu dem (ungeborenen) Kind aufgebaut haben, nicht gerecht. Deshalb hat sich der Begriff „Sternenkind“ etabliert. Die Vorstellung, dass das Kind den Himmel erreicht hat, noch bevor es das Licht der Welt erblicken durfte, ist natürlich ebenfalls traurig. Gleichzeitig hat sie aber auch für viele Eltern etwas sehr Tröstliches und Wertschätzendes an sich.

FAQ zum Thema Fehlgeburt        

Eine Fehlgeburt ist immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Viele reden einfach nicht über das Thema oder erst dann, wenn es sie unmittelbar selbst betrifft und sie sich mit einer Freundin darüber austauschen möchten. Leider geben sich noch immer viele Frauen selbst die Schuld für eine erlittene Fehlgeburt und schämen sich. Um diese missliche Lage zu ändern, bedarf es an großem gesellschaftlichem Umdenken: weg von der Tabuisierung von Fehlgeburten, hin zu mehr Offenheit, Unterstützung und Wertschätzung für betroffene Eltern.

Frauen sollten sich selbst die Zeit nehmen, die sie brauchen, um eine Fehlgeburt zu verarbeiten. Dafür können sie sich auch vom Arzt krankschreiben lassen.

Nach einer Fehlgeburt ist eine Ausschabung (Kürettage) nicht immer notwendig. Ob diese medizinisch erforderlich ist, hängt in erster Linie vom Stadium der Schwangerschaft ab. Bei einer Fehlgeburt in den ersten sechs bis acht Schwangerschaftswochen kann es gut sein, dass der Körper alles innerhalb weniger Wochen mit einer starken Blutung von alleine ausstößt. Bleiben allerdings nach einer Fehlgeburt Reste der Gebärmutterschleimhaut im Uterus zurück, müssen diese durch eine Ausschabung operativ entfernt werden. So können Komplikationen wie Infektionen vermieden werden.

Nach einer frühen Fehlgeburt können Frauen rein körperlich gesehen meist direkt wieder schwanger werden. Das gilt in der Regel auch nach einer Ausschabung. Doch auch wenn der Körper schon wieder bereit für eine neue Schwangerschaft ist, so kann die Psyche noch sehr mit dem Erlebten beschäftigt sein. Daher sollten Frauen nichts überstürzen und abwarten, bis sie auch mental wieder bereit für eine neue Schwangerschaft sind.

Im Netz liest man des Öfteren von einer erhöhten Fruchtbarkeit nach einer Fehlgeburt. Doch die Studienlage hierzu ist nicht eindeutig. Wann eine Frau nach einer Fehlgeburt wieder schwanger wird, hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise vom Alter oder von Grunderkrankungen.

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